Blick hinter die Zahlen #50 – Luftverkehr in der Pandemiezeit Warum Passagiere derzeit in den neusten Fliegern sitzen

In der Coronakrise nutzen die angeschlagenen Fluglinien so oft es geht ihre modernsten Flugzeugtypen. Dafür sorgt nicht nur das gewachsene Umweltbewusstsein. Doch die Vorliebe hat Grenzen.

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In der Flugbranche zeigen derzeit praktisch alle Zahlen auf eine Verschlechterung. Die Zahl der Flüge und mehr noch die der Passagiere sank in Deutschland gewaltig. So waren im vergangenen Jahr fast 75 Prozent weniger Reisende ins Ausland und in manchen Monaten gar 99 Prozent weniger. Das zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zum Luftverkehr in der Pandemiezeit. Damit hat die Branche rein rechnerisch mehr als 40 Jahre Wachstum eingebüßt. „Wir waren stellenweise in etwa so groß wie wir mal in den siebziger Jahren waren“, beschreibt Lufthansa-Chef Carsten Spohr den tiefsten Rückgang seines Sektors in Friedenszeiten.

Doch der Blick hinter die Zahlen zeigt neben dem Rückgang immerhin eine positive Seite. Die Krise sorgt dafür, dass alle Fluglinien in ihren Flotten mehr denn je neue sparsame Maschinen einsetzen. „Wir steigern den Anteil umweltfreundlicherer Modelle – sogar schneller, als wir es uns vor der Krise in einer deutlich größeren Flotte hätten leisten können“, sagt der 54-Jährige. „Wir haben auf der Kurzstrecke fast ausschließlich unsere besonders sparsamen Modelle Airbus A320neo im Einsatz.“

Aus Deutschland abfliegende Passagiere

Da ist der Lufthansa-Lenker nicht der Einzige. Laut einer Übersicht des Portals Flightradar24 für die WirtschaftsWoche setzen auch andere Fluglinien derzeit so oft es geht auf ihre modernsten Flugzeugtypen.

Bei der Auswertung zählte das Portal, wieviel Flüge bestimmte Flugzeugmuster am Donnerstag, den 21. Januar absolviert haben und verglich den Wert mit Donnerstag, den 23. Januar 2020, bevor wegen der Coronakrise vor allem in und nach China massiv Flüge gestrichen wurden.

Das Ergebnis: ältere Modelle wie der klassische Airbus A320 oder der Boeing 737 hatten weniger als halb so viele Flüge wie im Vorjahr. Dagegen verzeichnete der neue Airbus A320neo nur einen Rückgang von 17 Prozent. Die besonders effiziente größte Variante A321neo flog mit einem Rückgang von 5,8 Prozent sogar fast auf Vorkrisenniveau. Weil das Boeing-Konkurrenzmodell 737 Max Anfang 2020 nach zwei Abstürzen noch ein Flugverbot hatte, gibt es keine vergleichbaren Zahlen.

Tägliche Flüge nach Flugzeugfamilien

Ähnliche Unterschiede gibt es auf der Langstrecke. So sind trotz des Einbruchs der Fernflüge um weit mehr als die Hälfte sowohl das neue Airbusmodell A350 wie auch Boeings Dreamliner 787 nur 30 Prozent weniger unterwegs als im Vorjahr. Das pro Passagier besonders sparsame neue Airbus-Topmodell A350-1000 kam im Jahresvergleich sogar auf 14 Prozent mehr Flüge. Dagegen absolvierten ältere und größere Maschinen wie die Boeing 777 nur ein Viertel der Vorjahresflüge. Der Airbus Superjumbo A380 kam gar auf nur sechs Prozent.

Auch wenn die Airlines ihre Vorliebe für neue Jets gern mit der niedrigeren Umweltbelastung begründen, entscheidend sind zwei andere Gründe. Da sind erstmal die Kosten. Ein Airbus A320neo verbrennt pro Passagier im Schnitt 19 Prozent weniger Kerosin als das in Fachkreisen A320ceo genannte Vorläufermodell. Beim A350 ist es wegen der größeren Zahl an Sitzplätzen sogar gut 20 Prozent weniger als bei den älteren europäischen Jets A330 oder A340. Boeings Dreamliner spart pro Passagier rund 15 Prozent auf die älteren 777-Modelle, vor allem wegen der geringeren Zahl an Sitzplätzen.

Wievel billiger neue Modelle fliegen

Einen Vorteil haben die jüngeren Jets auch im Unterhalt. Sie sind weniger anfällig im Betrieb und brauchen weniger teure Reparaturen als betagte Maschinen.

Das ist angesichts der schlechten Finanzen der Unternehmen gerade besonders wichtig. Die Zahl der Passagiere sank in Deutschland mit rund 75 Prozent deutlich stärker als die Zahl der Flüge, die gut 60 Prozent unter dem Rekordjahr 2019 liegt. Darum sind die Flieger etwa bei der Lufthansa derzeit nur zu rund der Hälfte ausgelastet statt wie vor der Krise mit gut 80 Prozent. Entsprechend sinken die Einnahmen. „Wenn wir da pro Flug kein Geld verbrennen wollen, brauchen wir unsere jüngsten und sparsamsten Maschinen „, so ein hochrangiger Lufthanseat.

Der zweite Vorteil der neuen Jets ist der bessere Service. „Den Passagieren, die wir haben, wollen wir das Bestmögliche bieten“, sagt Pieter Elbers, Chef der niederländischen KLM. Die neueren Jets haben nicht nur in der Regel modernere Sitze und eine neuere Technik etwa bei der Bordunterhaltung. Weil sie fast ausschließlich aus nicht nur leichteren, sondern auch robusteren Verbundwerkstoffen bestehen, herrscht eine gesündere Atmosphäre an Bord mit einem angenehmeren Luftdruck und einer höheren Luftfeuchtigkeit.

Doch trotz aller Vorteile, in der Praxis kann der Anteil der neuen Jets nur begrenzt steigen. Da ist erstmal das Geld. „Wegen der hohen Verluste und der unsicheren Aussichten auf eine Erholung können sich derzeit nur wenige Airlines neue Flieger leisten und verschieben deren Auslieferung wo sie können“, sagt Shakeel Adam, Chef der weltweit tätigen Beratung Aviado Partners aus Mannheim.

Abgestellte Flugzeuge nach Modell

Dazu können die Fluglinien ihre älteren Modelle nur begrenzte Zeit untätig auf den Airports rumstehen lassen, ohne dass sie Schaden nehmen. Zudem verlangen gerade bei geleasten Jets die Vermieter zur Werterhaltung eine bestimmte Zahl an Flügen sowie Routinereparaturen. „Und wenn die Vögel sowieso in die Werkstatt müssen, kann man sie auch beschäftigen“, so ein Airlinemanager. Als Faustregel gilt darum, dass jede Maschine einmal die Woche abheben sollte. Ansonsten wird sie besser stillgelegt und besonders die empfindlichen Triebwerke werden durch Schutzfolien vor Staub und Feuchtigkeit geschützt.

Auf Dauer wird der Anteil neuer Jets an der genutzten Flotte allerdings nicht so hoch bleiben. Dafür wird allein die erwartete Erholung des Fluggeschäfts sorgen. „Wenn endlich die Beschränkungen fallen und die Kunden wieder reisen dürfen, können wir die Nachfrage ohne die älteren Flieger nicht bedienen“, prognostiziert ein Airline-Manager. „Aber das ist dann mal ein erfreulicher Grund.“

Die Rubrik „Blick hinter die Zahlen“ entsteht mit Unterstützung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Für die Inhalte der Beiträge ist ausschließlich die WirtschaftsWoche verantwortlich.

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Die Rubrik „Blick hinter die Zahlen“ entsteht mit Unterstützung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Für die Inhalte der Beiträge ist ausschließlich die WirtschaftsWoche verantwortlich.

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