Werbesprech
Neue Forschung lässt vermuten: Nicht einmal eine deutliche Kürzung des Werbebudgets führt zu Veränderungen an der Umsatzkurve. Quelle: imago images

Wirkt Werbung überhaupt nicht? Oder nur falsch?

Forscher zweifeln an der Wirkung der Werbung. Schuld daran ist wohl, wie die Werbung Menschen adressiert. Die Branche macht einen fatalen Fehler und muss gehörig umdenken.

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Viele Menschen behaupten, sie ließen sich von Werbung nicht beeinflussen. Dabei wissen sie herzlich wenig darüber, wie Werbung auf sie wirkt. Doch bei 10.000 und mehr Werbebotschaften, die täglich auf uns einprasseln, dürfte es immer schwerer sein, zum Verbraucher durchzudringen. Das sagt schon der gesunde Menschenverstand. Allem zum Trotz zeigen die Agenturen ihren Werbekunden jedoch jahraus, jahrein, wie erfolgreich ihre Kampagnen waren. Das kann nicht sein.

Jeder von uns kennt es: Sobald man etwas online gekauft hat, bekommt man häufig unmittelbar danach Werbung für das Produkt oder sogar für dieselbe Marke zu sehen. Mir erging es letzte Woche so: Ich kaufte bei Amazon ein Produkt von Kraft, das es im örtlichen Supermarkt nicht gibt, und drei Tage später spielte mir Facebook Werbung für genau diese Marke aus. Facebook weiß also, was ich bei Amazon kaufe und verkauft Werbung, die sinnlos verpufft, weil sie irrelevant ins Leere zielt. Schade um das Werbegeld und schön dumm für den Werbungtreibenden.

Nun aber kommt Bewegung ins Thema. Professor Steve Levitt von der University of Chicago wurde von einem Unternehmen, das jährlich fast eine Milliarde Dollar pro Jahr für Werbung ausgibt, um Hilfe gebeten. Man wisse nicht(!), ob die Werbung funktioniere oder nicht. Levitt fand einen Testmarkt, in dem die Zeitungswerbung vier Wochen lang ausgesetzt wurde. Das Ergebnis: Es hatte nicht den geringsten Effekt auf den Umsatz. Die Werbung schien also wirkungslos zu sein. Prof. Anna Tuchman von der Northwestern University Kellog School of Management befasst sich seit Jahren mit der Werbewirkung von TV-Kampagnen. Sie wertete in einer Meta-Studie 288 Marken aus, die im Fernsehen warben und kam zum Ergebnis, dass eine unmittelbare Kausalität zwischen TV-Werbung und Umsatz der beworbenen Marken wissenschaftlich nicht nachweisbar sei.

Negativer Werbe-ROI

Tuchman geht sogar einen Schritt weiter und behauptet, dass die meisten der beobachteten Marken zu viel in Werbung investierten und dadurch ein negativer Return-on-Investment (ROI) entstünde. Sie täten besser daran, ihre Werbespendings zu kürzen. Die Erforschung des ROI zeige, dass die Wirksamkeit von TV-Kampagnen im Vergleich zu bisherigen Annahmen um das 15- bis 20-fache überschätzt würde.

Beide Beispiele sind dokumentiert im Podcast von „Freakonomics“, einem US-Radiosender, der aus dem Erfolg des gleichnamigen Buches entstand und von Stephan J. Dubner und Steve Lewitt seit Jahren betrieben wird. Wer als Marketingverantwortliche(r) von diesen Ergebnissen schon überrascht ist, dürfte an den Erkenntnissen, die Dubner und Lewitt zur digitalen Werbung im zweiten Teil des Podcasts zutage fördern, schier verzweifeln.

Online-Kürzungen ohne Folgen

Hinlänglich bekannt ist, dass Procter & Gamble und Unilever vor Jahren ihre Onlinewerbung um 41 Prozent beziehungsweise 59 Prozent herunterfuhren und dabei nach eigener Aussage keinerlei Auswirkungen auf ihr Geschäftsergebnis erlebten. Auch Uber kürzte nach einem massiven AdFraud-Angriff das Online-Budget um zwei Drittel – ohne jegliche Auswirkungen auf die Zahl der App-Installationen.

Nun berichtet Prof. Steve Tadelis von der Haas School of Business an der University of California von einem Experiment, das er mit Ebay durchführte. Dort glaubte man, dass etwa fünf Prozent des Umsatzes auf Suchmaschinenwerbung zurückzuführen war und dass man aus jedem Werbe-Dollar 1,50 Dollar herausholte. Tadelis drehte die Google-Werbung in einem Drittel des Marktes komplett ab. Der Umsatz fiel jedoch nur um ein halbes Prozent und Tadelis konnte nachweisen, dass Ebay an jedem Dollar durchschnittlich 60 Cent verlor. Auf der Stelle kürzte Ebay das Search-Budget um 100 Millionen Dollar pro Jahr.

Man setzte sich mit Google und Facebook in Verbindung, um sie mit diesen Ergebnissen zu konfrontieren. Google argumentierte mit den Forschern, dass Werbungtreibende in Search-Anzeigen investierten, weil sie wirkten. Facebook ließ sich nicht einmal auf das Gespräch ein.

Programmatic ist sogar kontraproduktiv

Nun wird es wirklich interessant. Nico Neumann ist Marketing Professor an der Melbourne Business School in Australien. Er führte verschiedene Studien durch und stellte dabei zwei wichtige Dinge fest. Erstens, die Daten, die von der AdTech-Industrie eingesetzt würden, seien „unglaublich ungenau“ („incredibly inaccurate“). Und zweitens – und von außerordentlicher Bedeutung – kommt er zur Erkenntnis, dass die von AdTech eingesetzte „Künstliche Intelligenz“ (in Wirklichkeit nicht mehr als simples „Machine Learning“), überwiegend Menschen findet, die ohnehin das Produkt gekauft hätten.

Diese Erkenntnisse aus dem Online-Werbemarkt decken sich mit den Forschungsergebnissen aus der zuvor beschriebenen Welt der klassischen Medien Zeitungen und TV. Offenbar tendiert die Werbung neuerdings dazu, genau die Menschen zu erreichen, die ohnehin kaufen oder zu Käufern geworden wären. Beim Einsatz von Online-Medien ist dieser Effekt noch stärker, denn hier werden dank AdTech die Verbraucher via programmatischer Ausspielung personalisiert angesprochen. Das verstärkt natürlich diesen Aspekt.

Zusammengefasst bedeutet das: Nicht einmal eine deutliche Kürzung des Werbebudgets führt zu Veränderungen an der Umsatzkurve. Und ein komplettes Abschalten der Onlinewerbung hat mitunter überhaupt keine Auswirkungen auf das Werbeziel. Das ist starker Tobak.

Medien und Werber reagieren mit Ignoranz

Da die hier beschriebenen Forschungen zumindest in Teilen nicht neu sind, stellt sich die Frage: Warum reagiert der Werbemarkt darauf mit absoluter Ignoranz? Im Freakonomics-Podcast wird der Autor Upton Sinclair zitiert, um das Phänomen zu erklären: „Es ist schwierig, jemandem etwas verständlich zu machen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht.“

Die Medien, allen voran die Googles und Facebooks dieser Welt, wissen demnach, dass zu viel in Werbung investiert wird und weite Teile der Werbeinvestitionen wirkungslos bleiben. Die Agenturen, allen voran die Mediaagenturen, die nach der Höhe der Werbeetats bezahlt werden, wissen es auch.

Die Marketingverantwortlichen ahnen es, greifen jedoch nicht ein, weil sie jahrzehntelang ihren CFOs und CEOs erklärt haben, wie erfolgreich ihre Kampagnen sind. Das zuvor zitierte Ebay-Beispiel spricht Bände: Prof. Tadelis war zunächst mit seinem experimentellen Ansatz zum Chief Marketing Officer gegangen, der jedoch kein Interesse zeigte. Erst als der CEO involviert wurde, gab es eine Freigabe für das Experiment, das zu einer Einsparung von 100 Millionen Dollar führte.



Weniger (Werbung) ist mehr

Die Marketing- und Werbeverantwortlichen wollen ihr Terrain schützen. Das ist zwar nachvollziehbar, verdient jedoch keinen Orden. Einen Orden gäbe es, wenn sie das, was sie seit Jahrzehnten praktizieren, hinterfragen. Sie könnten Effektivität und somit auch die Effizienz ihrer Kampagnen steigern, wenn sie an identifizierbaren Stellen weniger investieren. Es klingt paradox, ist aber ganz offensichtlich wahr.

Wer an diesem Thema ein grandioses Interesse besitzen müsste, sind in den Unternehmen die CFOs, die CEOs und am Ende die Shareholder. Doch das Thema ist ihnen gänzlich unbekannt. Sie lesen weder die kritischen Stimmen in der Fachpresse, noch besuchen sie Werbekongresse, in denen die nachlassende Werbewirkung seit Jahren – wenn auch meist zwischen den Zeilen – thematisiert wird. Und nur wenige von ihnen hören den Podcast von Freakonomics.

Die Werber: das schwächste Glied in der Kette

Jeder erfahrende Mediaberater erkennt beim Überprüfen der Mediapläne Medien und Stellen, an denen Überflüssiges eingekauft wird. Die Erfahrung lehrt, dass oft simple Eingriffe schon 20 Prozent der Werbegelder einsparen könnten – ohne signifikante Einbußen an Werbewirksamkeit. Doch nicht jeder Verantwortliche will wissen, dass in der Vergangenheit überinvestiert wurde. Der Mensch erweist sich als das schwächste Glied in der Kette der Entscheidungen über Werbung und Mediaetats.

Das ist den Freakonomics-Machern nicht entgangen. Stephan Dubner interviewte dazu keinen Geringeren als Keith Weed, den ehemaligen weltweiten CMO von Unilever, einen der größten Werbekunden der Welt. Seine Antwort: „Die Tatsache, dass Unternehmen wie Unilever Milliarden in Werbung investieren, deutet darauf hin, dass Werbung vielleicht doch wirkt. (Das Wörtchen „vielleicht“ irritiert an dieser Stelle.) Unternehmen würden das Geld nicht für Werbung ausgeben, wenn sie nicht an die Wirkung glauben würden und sie nicht quantifizieren könnten.“

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